Nicht nur für non-binäre sondern auch für die meisten anderen Menschen bringt die strikte künstliche Zweiteilung so einige Probleme mit sich.
Die bewussten «Genderbender»
Es gibt einige Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen die herkömmlichen Geschlechterrollen bewusst in Frage stellen (Drag Queens/Kings, Metrosexuelle, Tomboys etc.) ohne sich als non-binär oder Trans* zu definieren. Aber sie sind sich bewusst wie einschränkend das Modell von den zwei Geschlechtern ist und wollen daraus ausbrechen. Wenn jemand künstlerisch tätig ist, dann kann das als «interessant» oder «exotisch» gesehen werden. Aber die meisten von ihnen zahlen einen gewissen Preis dafür, dass sie sich nicht an die «ungeschriebenen Gesetze» halten.
Trans* Menschen mit einer binären Geschlechtsidentität
Die Trans* Menschen die eine binäre Geschlechtsidentität haben (d.h. sich als «Mann» oder «Frau» verstehen), leiden unter dem System der Zweigeschlechtlichkeit auf mehreren Ebenen. Einerseits bekommen sie immer wieder die noch verbreitete Skepsis gegenüber Transidentität zu spüren. Dies kommt daher, dass Teil des «Glaubenssystems» ist, dass das soziale Geschlecht mit dem bei der Geburt festgestellten körperlichen Geschlecht unveränderbar verbunden ist. Andererseits kämpfen sie während oder auch nach der Transition mit den rigiden Stereotypen, wie «eine richtige Frau» oder «ein richtiger Mann» zu sein hat. Sie denken selber oder es wird ihnen gesagt, sie müssten diesen entsprechen, um ihrem Identitätsgeschlecht «wirklich angehören zu können».
Intergeschlechtliche Menschen
Bei Babys, die mit einem Körper geboren werden, der nicht den sozialen Normen und Erwartungen von männlich oder weiblich entspricht, werden leider heute immer noch menschenrechtswidrige geschlechtsverändernde Eingriffe vorgenommen. Diese traumatisierenden Massnahmen werden von Ärzten und Eltern damit begründet, dass es «in unserer Gesellschaft nicht möglich wäre, zwischen den herkömmlichen Geschlechtern zu leben». Nun, die wachsende Zahl von den sich als non-binär definierenden Menschen (ob körperlich intergeschlechtlich oder nicht) würden dem aber klar widersprechen.
Aber auch Intergeschlechtliche Menschen, die keine solchen Eingriffe erlebt haben, können unter ihrer Intergeschlechtlichkeit leiden, wenn sie merken wie rigide die Vorstellungen immer noch sind und was es «alles genau braucht um richtig zu sein».
Homosexuell lebende Menschen
Menschen die Homosexualität leben (ob sie sich nun als homosexuell, bisexuell, pansexuell o.ä. definieren), stehen mit der bei uns dominierenden «Heteronormativität» in Konflikt. Dies ist die implizite Annahme, dass es genau zwei Geschlechter gibt und diese sich gegenseitig begehren müssten. Es sind diese «ungeschriebenen Gesetze» (oder manchmal werden sie sogar geschrieben) wer sich von wem «begehren lassen muss» oder «nicht zu begehren lassen hat», weil das «Frau» bzw. «Mann» nicht tut.
Einige dieser Frauen und Männer fallen auch in die oben genannte Gruppe der «Genderbender» und kennen diese Art von «Gegenwind». Andere orientieren sich eher an den gängigen Stereotypen und haben dann mit den unten beschriebenen Problemen zu kämpfen, die auch heterosexuellen Menschen das Leben schwer machen.
Heterosexuell lebende Menschen
Unter den heterosexuell lebenden Menschen haben es die meisten auch nicht leicht mit der binären Einteilung der Geschlechter. Zwar fühlen sich viele von ihnen in ihrem Geschlecht grundsätzlich schon pudelwohl. Aber auf dem «Markt der Beziehungen» werden sie immer wieder mit der Tatsache konfrontiert, dass es andere gibt, die mehr dem Geschlechterstereotyp entsprechen und somit einen höheren «Marktwert» haben. Es trifft wohl auf 99% der heterosexuellen Menschen zu, dass es noch jemanden gibt, der/die noch perfekter in das Geschlechter-Bild passt. Ihr konstanter Stress hat damit zu tun, dass sie sich ständig am «verbessern» sind in Bezug auf diese gnadenlose, völlig unrealistische Schablone. Das ist «ein Fass ohne Boden», von dem ganze Industrien profitieren (Make-up Hersteller, neo-Tantra Anbieter, plastische Chirurgie etc.).
Menschen, die das «Gefängnis» sonst spüren können
Viele Menschen haben unabhängig von Geschlechtsidentität, sexueller Orientierung etc. ein latentes Unbehagen «ihrem Geschlecht gegenüber». Auch wenn sie nicht an die oben beschriebenen «Grenzen stossen», können sie doch spüren wie einschränkend das System ist, wissen aber nicht, wie sie sich ihm entziehen können.
Vielen Frauen wird dies einerseits bewusst, wenn sie sich mit der ungleichen Behandlung von Frauen in der Gesellschaft befassen. Andererseits wird es ihnen aber auch bewusst durch die immer extremer werdenden Schönheitsideale, denen sich Frauen nicht leicht entziehen können – auch ausserhalb des Kontexts von Beziehungen nicht.
Ziemlich sicher gibt es ebenfalls viele Männer, die ein ähnliches Unbehagen haben. Aber bei ihnen ist es wohl immer noch viel weniger akzeptiert die «gesetzten Regeln» zu hinterfragen und so wird es ihnen oft gar nicht erst bewusst oder sie äussern sich nicht dazu.
Non-Binarität über Geschlecht hinaus
Nicht nur für Geschlecht spielt Non-Binarität eine wichtige Rolle. Ganz viele Bereiche des menschlichen Lebens sind nicht binär. In ihrem Buch «Life Isn’t Binary» erläutern Alex Iantaffi und Meg-John Barker, dass es viele Bereiche unseres Lebens gibt, die nicht binär sind – Sexualitäten, Geschlechter, Beziehungen, Körper, Emotionen und Denken. Zusätzlich erklären sie uns aber auch, was es für Alternativen zu binärem Denken gibt.
Blogbeitrag: Non-binäres Denken: Das Leben ist nicht binär >
Text von: Evianne Hübscher
Erste Veröffentlichung: 9.8.2016 | Letztes Update: 31.10.2023