23.6.2022 · Chri Hübscher
Im Blogbeitrag Warum hat es im Logo dieser Website das Menschlein mit dem halben Rock? habe ich die Frage gestellt, ob das aktuelle «Logo» der Website bzw. das darin enthaltene Symbol bleiben kann oder nicht. Diese Frage habe ich mir selbst gestellt und euch mit einem Fragebogen.
Wie ich im anderen Blogbeitrag erläutert habe, war mir bewusst, dass nicht alle non-binären Menschen begeistert sind von dem Symbol. Auf der anderen Seite hat sich auch immer wieder gezeigt, dass Personen ohne Ahnung vom Thema bei dem Symbol gleich wussten, worum es grob geht. Natürlich kann das Symbol nicht die ganze Vielfalt von non-binärem Geschlecht ausdrücken. Meiner Meinung nach will/muss es das aber auch gar nicht. Wie das Wort «nicht-binär» drückt das Symbol aus meiner Sicht vor allem die Verneinung der Binarität aus. Die Art das Symbol zu interpretieren, geht eben ziemlich auseinander, wie wir noch sehen werden.
Erst mal vielen Dank für die vielen Rückmeldungen und die ausführlichen Inputs!
Der Fragebogen und die Antworten
Der Fragebogen wurde 45-mal ausgefüllt, hatte nur eine geschlossene Frage («Das Symbol muss weg …», «Das Symbol kann bleiben …» etc.) und die anderen Fragen waren alle offen zu beantworten. Der ganze Fragebogen und mehr Infos zur Befragung sind am Ende des Textes zu finden. Es waren explizit alle eingeladen den Fragebogen auszufüllen – unabhängig von ihrer Geschlechtsidentität. In den folgenden Absätzen werden die Antworten besprochen.
Anmerkung: Die geschlossene Frage wird in einem Abschnitt diskutiert. Aber die Antworten auf die offenen Fragen sind z.T. «nach gemachter Aussage» gruppiert. Die wiedergegebenen Antworten sind meist nicht exakt wörtlich. Es war mir nicht möglich alle Gedanken in den Text zu nehmen. Ich habe aber versucht, der Breite der verschiedenen Inputs mehr oder weniger gerecht zu werden. Sollte ein sehr wichtiger Aspekt verloren gegangen sein, schickt mir bitte eine Mitteilung.
Die geschlossene Frage: Gedanken zum Symbol
Die einzige geschlossene Frage war «Gedanken zum Symbol?». Die Frage hatte vier vorgegebene Antworten und eine offene Option. Die Grafik unten zeigt die prozentuale Verteilung der Antworten.
Leicht mehr Personen haben geantwortet «das Symbol kann bleiben» (40%) als «das Symbol muss weg und ein neues muss her» (31%). Fünf Personen habe die offene Option gewählt und dabei waren je eine davon zu interpretieren als «kann bleiben», eine als «muss weg» und eine als «weiss nicht». Weitere zwei Antwortende haben darauf hingewiesen, dass das Symbol Vor- und Nachteile hätte.
Aussage in offenen Fragen «Das Symbol wird ganz unterschiedlich gesehen»
Spannend war, dass das Symbol ganz unterschiedlich wahrgenommen wird. Viele sehen darin eine Binarität ausgedrückt oder eine 50/50-Verteilung von zwei Polen, wo aber das Kontinuum fehlt.
Es gab auch andere Interpretationen:
- eher trans allgemein oder sogar eher binär trans
- das ist ein Cape von einer Super*Person und nicht ein Rock
- das könnte auch einfach ein vom Wind verwehtes Kleid sein
- kann als Travestie oder binäre Transition gelesen werden
- nicht Mann, nicht Frau, beides nicht und doch eben Mensch
- ich lese es ironisch
- kurze Verwirrung beim Anschauen kann zum Nachdenken bringen
- einfach «ein drittes Geschlecht» und enthält wiederum eine Vielfältigkeit
- vereinigt die äusseren Enden des Spektrums
Viele sehen auch eine Assoziation zu einer WC-Beschriftung. Dieser Bezug wurde manchmal positiv interpretiert (da bekannt) und oft auch negativ (mehr dazu unten).
Aussage in offenen Fragen «Das ist nicht gut am Symbol»
Als negativ wurde oft die oben schon erwähnte Stützung der Binarität oder 50/50-Verteilung gesehen. Das Symbol würde Binarität mehr zementieren als sie aufzulösen und sich zu wenig ausserhalb der binären Kategorien bewegen. Oft wird auch erwähnt, dass es einen unglücklichen Zusammenhang zwischen Kleidung und Geschlecht herstellen würde. Durch die Darstellung als «Person» könne es – über Stereotypen – auch ausschliessend wirken für BIPoC, dicke Menschen, Menschen mit Be_hinderung etc. Auch die Assoziation mit WC-Beschriftungen wurde oft als problematisch gesehen – u.a. auch, weil wir in der Trans Community ja vielfach mit der «WC Problematik» konfrontiert sind.
The master’s tools will never dismantle the master’s house.
– Audrey Lorde
Eine Kritik war auch hinterlegt mit diesem Zitat von Audrey Lorde: «Die Werkzeuge der Herrschenden, werden das Haus der Herrschenden niemals einreissen.»
Aussage in offenen Fragen «Gut ist am Symbol»
Auf der positiven Seite wurde oft erwähnt, dass das Symbol sehr einfach ist, eine gute Wiedererkennung hat und auch Leuten ohne Wissen zum Thema schnell vermitteln kann, worum es grob geht. Einige merkten auch an, dass es inzwischen einen gewissen Bekanntheitsgrad hat.
Anmerkung: Über Bemerkungen in den Kommentaren wurde klar, dass auch einige non-binäre Menschen geantwortet haben, das Symbol könne bleiben – obwohl ja die Geschlechtsidentität nicht abgefragt wurde.
Aussage in offenen Fragen «Nicht nur gut oder schlecht»
Einige haben auch erklärt, dass sie Vor- und Nachteile in der Darstellung sehen. Eine schöne Antwort in die Richtung war: «erleichtert Anfänger*innen Anschluss ans Thema, auch wenn’s sonst etwas doof ist». Erwähnt wurde auch, dass es Zeit braucht neue Symbole bekannt zu machen. Eine Person gab zu bedenken, dass es auch problematisch sein kann, das Symbol «auf der Basis von ‹Rock = Frau› und ‹Hose = Mann› Binarität» zu kritisieren.
Aussage in offenen Fragen «Die Frage nach der Zielgruppe»
Einige stellten die wichtige Frage nach der Zielgruppe. Was ein effektives Logo ist, hängt auch von der Zielgruppe ab. Nun, die bisherige Zielgruppe der Website war immer ziemlich klar definiert (siehe Blogbeitrag, der auch im Text zum Fragebogen verlinkt war). Die zwei wichtigsten Gruppen waren bis jetzt klar:
- Menschen die «non-binär sind», es aber nicht eindeutig wissen («enby questioning») und auch keine genaue Vorstellung von diesem Konzept haben
- Angehörige oder Bekannte von non-binären Menschen
Menschen, die sich schon gut mit non-binärem Geschlecht auskennen, waren bis jetzt nicht wirklich im Fokus der Website. Denn bis jetzt war meine Einschätzung so, dass es für die beiden oben erwähnten Gruppen nicht viel in Deutsch gibt – für die «Profis» aber schon (z.B. Nichtbinär-Wiki). So war bis jetzt klar, dass es eher um die Verständlichkeit für Einsteiger*innen ging als um ein Symbol zur Identifikation. Aus den Antworten wurde klar, dass einigen dies bewusst war und anderen offenbar nicht.
Ich nehme nun diesen Zeitpunkt aber auch zum Anlass, die Frage nach den Zielgruppen nochmals neu zu stellen, da sich die Situation seit 2016 stark geändert hat. Mehr dazu später.
Aussage in offenen Fragen «Zur formalen Umsetzung»
Es gab auch einige Feedbacks zur formalen Umsetzung des «Logos». Eine Person hat angemerkt, dass das Symbol zu generisch ist für die Bildmarke (Symbol o.ä.) eines Logos.
Mehrfach kam die Bemerkung, dass die «Farbe» des Symbols nicht ideal sei (siehe auch Foto der Visitenkarte ganz unten). Dazu muss ich sagen, dass das Symbol eigentlich grau sein sollte (siehe Screenshot oben), ich aber zu doof war (oder faul?), eine Farbkorrektur am Foto vorzunehmen. Sorry, dieser Aufwand hätte sein müssen.
Aussage in offenen Fragen «Ist nicht so einfach zu beantworten»
Einige haben angemerkt, dass es gar nicht so einfach zu beantworten sei, ob das Symbol nun «gut» oder «schlecht» sei. Offenbar hat auch der Blogbeitrag geholfen das zu realisieren. Es wurde auch angemerkt, dass ein Symbol wohl nie alle abholen kann und es in der Community eh auch keine Einigkeit dazu gäbe. Vor allem sei ja auch die Anregung von Diskussionen wichtig. Es wurde auch angemerkt, dass es schwierig sei Nonbinarität darzustellen, da es ja um ein inneres Erleben und nicht um Äusserlichkeiten geht.
Offene Frage: Was müsste ein neues Symbol leisten?
Viele haben sich Gedanken dazu gemacht was Anforderungen an ein neues Logo sein könnten:
- Verständlichkeit und rasche Erfassbarkeit
- non-binären Raum auftun
- positiv zu lesendes Symbol für eigenes Geschlecht
- emotional ansprechen und nicht nur über den Kopf
- alle einschliessen und nicht auf Stereotypen basieren
- (Wieder-)Erkennung
Ein Feedback aus einer Branding-Perspektive: Ein Logo muss vor allem eine Idee mit Klarheit ausdrücken und ein Gefühl geben, wofür ein Brand steht. Viele Logos haben auch nur eine Wortmarke (Text) und müssen nicht unbedingt auch eine Bildmarke (Symbol o.ä.) haben.
Einzelne haben auch beschrieben, was ein neues Symbol sein könnte:
- etwas mehr Abstraktes, nicht in Form einer Person
- symbolisierter Gendergap
- Anlehnung an Flaggenfarben oder Gendersymbole mit Kreisen
Fazit
Nochmals vielen Dank allen für die reichhaltigen Inputs. Hier ein paar abschliessende Gedanken von mir und Hinweise wie es weiter geht.
Nicht entweder-oder
Es war sehr spannend zu sehen, wie divers die Antworten ausgefallen sind – so divers wie die non-binäre Community, würde ich sagen.
Das Leben ist nicht binär –
auch Antworten auf Fragen nach Symbolen nicht.
So wurde ein Ziel meines Erachtens schon erreicht, nämlich aufzeigen zu können, dass es in Bezug auf Symbole nicht ein «entweder richtig oder falsch» gibt. Sondern wie so vieles anderes sind auch Symbole «sowohl nützlich als auch problematisch». Das Leben ist eben nicht binär (Buchempfehlung: «Life Isn’t Binary» von Alex Iantaffi & Meg-John Barker). Diese Thematik soll auch in zukünftigen Texten weiter untersucht werden, dass Dinge eben nicht entweder 100% gut oder 100% schlecht sein müssen. Vieles ist differenzierter als uns Schlagzeilen und Tweets immer wieder glauben machen wollen. Und Semiotik ist nicht trivial.
Nachdenken über die Zielgruppe
Wie oben erwähnt, ist jetzt ein guter Moment, nochmals über die Zielgruppe der Website nachzudenken, die Vision anzupassen (Blogbeitrag zur Vision aus 2016) und zu versuchen noch mehr Leute anzusprechen. Wenn sich Menschen basierend auf den Inhalten der Website ausgeschlossen fühlen, dann wollen wir das, wenn möglich auch ändern. Aber es wird auch in Zukunft wichtig bleiben, dass z.B. Eltern von non-binären Jugendlichen abgeholt werden können. Wenn wir diese Eltern abhängen, dann lassen wir auch die Jugendlichen im Stich und das werde ich nicht zulassen.
In der Schweiz rückt das Thema «non-binäres Geschlecht» immer mehr in den Fokus und es hat sich auch generell die Situation in der Gesellschaft verändert in den letzten Jahren (wie auch im anderen Blogbeitrag zum Logo schon angesprochen). Nächstens werden wohl auch immer mehr die Diskussionen rund um Geschlechtseinträge für non-binäre Menschen aufkommen (siehe Text zu Geschlechtseinträgen). Dazu möchten wir uns auch vermehrt engagieren.
Wie kommen wir zu einem neuen Logo?
Ein nächster Schritt wird sein ein Logo zu gestalten, welches hoffentlich etwas mehrheitsfähiger ist und etwas mehr den formalen Kriterien eines Logos entspricht. Es gibt aber zwei Wege, die ich aus verschiedenen Gründen nicht einschlagen wollte: Das Logo soll nicht von einer Branding-Agentur ausgearbeitet werden aber auch nicht über einen Wettbewerb oder Jekami-Prozess («Design by Committee») entwickelt werden. Wenn aber einzelne von euch Erfahrung mit Branding und/oder «non-binärer Semiotik» haben und uns beratend unterstützen wollen, könnt ihr uns gerne eine Mitteilung schreiben.
Dieser Prozess wird wohl noch einen Moment dauern. Wer den Newsletter abonniert hat, wird mitbekommen was dazu läuft. In Zukunft wird es dann sicher noch weitere Blogbeiträge zu den hier angerissenen Themen geben.
Gebt uns Feedback
Abschliessend möchte ich noch anmerken, dass wir auch sehr wenig Feedback auf die Website erhalten. Einerseits hat das den Vorteil, dass wenig destruktives Feedback reinkommt. Aber somit sind wir auch etwas im Blindflug in Bezug darauf was wir noch verbessern können. Es haben mir z.B. nur genau zwei Leute von sich aus Feedback zum Symbol («gibt’s da nix besseres?») gegeben über all die Jahre (danke an dieser Stelle). Den Input habe ich schon von mehr Leuten erhalten, aber nur auf mein Nachfragen hin oder indirekt.
Falls ihr konstruktives Feedback zur Website habt, dann freuen wir uns über eine Mitteilung. Wir können nicht versprechen, dass wir alles (gleich) umsetzen können. Aber wir bemühen uns, mit der Website für möglichst viele Leute ein nützliches Angebot zu bieten. Da es aber bis jetzt kein Sponsoring gibt (vielleicht auch nie geben sollte), sind die Kapazitäten beschränkt. Die beschränkten Kapazitäten sind u.a. auch der Grund, warum es keine Kommentarfunktionen und Social Media Auftritte gibt.
Details zum Fragebogen
Der Fragebogen (Google Forms) war in diesem Blogbeitrag verlinkt und war zugänglich vom 30.11.2021 bis 31.3.2022 (letzte Antwort: 2.3.2022). Er wurde 45-mal ausgefüllt. Der Fragebogen war in zwei Teile geteilt und nach den ersten zwei Fragen wäre es möglich gewesen schon abzuschliessen. Niemand hat frühzeitig abgeschlossen, sondern alle haben auch mit dem zweiten Teil noch weitergemacht.
Der Fragebogen hatte nur eine geschlossene Frage («Das Symbol muss weg …», «Das Symbol kann bleiben …» etc.) und die anderen Fragen waren alle offen zu beantworten. Die erste geschlossene Frage war auch die einzige zwingend auszufüllende Frage, die anderen waren alle optional.
Die Fragen
Fragebogen zum Logo von nonbinary.ch
In einem Blogbeitrag «Warum hat es im Logo dieser Website das Menschlein mit dem halben Rock?» wird die Frage gestellt, ob das Symbol (Menschlein mit halbem Rock – siehe Bild unten) noch nützlich ist. Oder braucht es ein anderes Symbol?
Blogbeitrag zum Thema:
https://www.nonbinary.ch/blog/2021/12/warum-hat-die-website-dieses-logo
Zu diesem Fragebogen
In diesem Fragebogen wollte ich fragen, ob es für die Website ein neues Logo (Symbol) braucht oder ob das alte bleiben kann. Die Fragen können auch beantwortet werden, ohne den Blogbeitrag zu lesen. Wer aber den Text gelesen hat (Link oben), kann vielleicht besser nachvollziehen, warum das Logo seit 2016 so ist.
Alle Interessierten können den Fragebogen gerne ausfüllen – unabhängig von der eigenen Geschlechtsidentität.
Gedanken zum Symbol?
<Vorgegebene Antworten:>
– Das Symbol muss weg und ein neues muss her
– Das Symbol kann bleiben
– Ist mir doch egal
– Weiss ich auch nicht
– Weitere … <Option mit offenem Textfeld>
Noch allgemeine Bemerkungen dazu?
<offenes Textfeld>
Noch mehr Fragen dazu beantworten?
<Vorgegebene Antworten:>
– Ja <bringt Teilnehmende auf 2. Seite>
– Nein <Ende des Fragebogens>
Was ist problematisch an dem Symbol?
<offenes Textfeld>
Was ist gut an dem Symbol?
<offenes Textfeld>
Wie können wir problematische und gute Seiten abwägen?
Gedanken dazu warum die eine oder andere Seite wichtiger ist
<offenes Textfeld>
Was müsste ein neues Logo leisten?
Bei dieser Frage geht es nicht darum, welches Symbol o.ä. es sein müsste. Aber solche Dinge: Müssen Menschen es (er)kennen (cis/trans/enby)? Muss es non-binäres Geschlecht visuell erfassbar machen? Das ist keine einfache Antwort. Wenn es nichts zu sagen gibt, ist das total ok.
<offenes Textfeld>
Noch allgemeine Bemerkungen dazu?
<offenes Textfeld>
Letztes Update: 23.6.2022