Falls Sie in Formularen das «Geschlecht» abfragen wollen, sollten Sie zuerst überlegen, warum und wozu Sie das machen. Wenn das klar ist, dann gibt ein paar Best Practices, die hier zusammengestellt sind.
Hinterfragen
Bevor Sie sich an das Gestalten Ihrer Formulare machen, sollten Sie sich fragen:
1Ist es wirklich nötig, die Frage nach dem «Geschlecht» zu stellen?
Kann die Frage auch weggelassen werden? Falls möglich sollte die Frage optional gemacht werden.
2Was müssen Sie wissen – Geschlecht oder Anrede?
Diese zwei Dinge sind nicht dasselbe. Falls Sie wirklich beides wissen müssen, sollten Sie auch beides abfragen.
3Wozu wird die Information benötigt?
Was bedeutet «Geschlecht» in diesem Zusammenhang? Wozu wird die Information verwendet? Dies muss aus der Frage klar werden.
Im Zweifelsfall weglassen
In vielen Formularen wird das Geschlecht oder die Anrede abgefragt, ohne dass jemand sich überlegt hat warum. Wenn es keinen guten Grund gibt für die Frage, dann sollte sie weggelassen werden.
Wenn immer möglich optional machen
Falls Sie die Fragen wirklich stellen wollen, sollten diese wenn immer möglich als optional definiert und gekennzeichnet werden oder die Antwortmöglichkeit «keine Angabe» enthalten. So geben Sie den befragten Personen die Möglichkeit, frei zu entscheiden. Es sind nicht nur non-binäre Menschen, die diese Option zu schätzen wissen. Entscheidungsfreiheit wird von vielen Menschen sehr geschätzt.
Geschlecht oder Anrede?
Eine Anrede ist nicht dasselbe wie «Geschlecht». In den meisten Geschäftsbeziehungen ist lediglich die Anrede von Interesse, die anderen «Dimensionen von Geschlecht» spielen überhaupt keine Rolle. Was müssen Sie wissen? Falls Sie beides wissen müssen, sollten Sie auch beides separat abfragen. Die entsprechenden Umsetzungen sind dann weiter unten zu finden.
Anrede: Diese Information bestimmt z.B. welche Begrüssungsformel («Guten Tag Sascha Muster») in Korrespondenz verwendet wird. Im Briefverkehr wird sie manchmal in der Adresse verwendet, obwohl das zusehends veraltet wirkt.
Geschlecht: Diese Information ist in den meisten Geschäftsbeziehungen völlig irrelevant. Es gibt aber Situationen, in denen es eine Relevanz hat (medizinischer Kontext, online Dating etc.). In diesen Fällen ist es aber wichtig, sich klar zu sein, welche Aspekte von Geschlecht wirklich gemeint sind.
Die Beispiele unten sind alle illustriert mit digitalen Formularen. Diese lassen sich aber genauso auch als Papierformulare umsetzen.
Anrede abfragen
Bei der Frage nach der Anrede muss man sich gar nicht Gedanken machen, wie eine «non-binäre Anrede» zu bezeichnen ist, weil es im Deutschen gar keine gibt – auf jeden Fall keine allgemein anerkannte. Hier können wir immer die Option «neutrale Anrede» verwenden, welche dann eine neutrale Begrüssungsformel zur Folge hat (z.B. Guten Tag Sascha Muster) und in der Briefadresse die Anrede weglässt.
In diesem Zusammenhang eine Optionen wie «non-binär» o.ä. anzubieten, ist wenig sinnvoll, weil es hier gar nicht eigentlich um Geschlecht geht. Es wird auch einige Personen geben, die sich mit einem binären Geschlecht (Frau/Mann) zwar identifizieren, diese neutrale Option aber trotzdem auch gerne in Anspruch nehmen. In einem englischen Formular könnten Sie noch die allgemein akzeptierte Option «Mx» [mɪks] (mehr bei Wikipedia) anbieten (Begrüssungsformel z.B.: Dear Mx Muster). Mehr zu Begrüssungsformeln etc. siehe Kommunikation.
Die Option «divers» zu nennen ist – zusätzlich zum Argument oben – noch aus anderen Gründen ungünstig: In der Schweiz gibt es zurzeit noch keine nicht-binären Geschlechtseinträge und damit auch keine Bezeichnung dafür (weiter ist es auch wünschenswert, dass es mehr als nur eine Option gibt – siehe Geschlechtseinträge). In Deutschland sowie Österreich gibt es zwar den Eintrag «divers», dies ist aber in beiden Ländern nicht der einzige nicht-binäre Geschlechtseintrag (in Österreich gibt es vier verschiedene Varianten – siehe Recht).
Geschlecht abfragen
Im Gegensatz zur Anrede ist die Frage nach «Geschlecht» nicht ganz so einfach zu formulieren. Wie erwähnt, ist es hier wichtig zu wissen, was wir genau mit «Geschlecht» meinen (für die verschiedenen Aspekte von Geschlecht siehe Grundlagen) und wozu wir die Information benötigen. Situationen, in denen die Frage nach «Geschlecht» sinnvoll sein kann: Online Dating, Social Media, medizinische und psychologische Kontexte oder wenn die Frage nach dem amtlichen Geschlecht unumgänglich ist.
Selbstpräsentation – Social Media etc.
Beim Online Dating oder auch sonst auf Social Media kann es den Benutzenden selber ein Bedürfnis sein, ihre Geschlechtsidentität oder -definition sehr präzise und umfassend zum Ausdruck bringen zu können. Deshalb sind hier freie oder auch mehrfache Angaben wünschenswert. Aber auch hier sollte wenn möglich die Option geboten werden, keine Angabe zu machen.
Eine Möglichkeit ist, neben der Option «weiteres» noch ein Feld für Freitext zu bieten (siehe oben). Dieses Feld soll aber auch leer gelassen werden können (d.h. optional sein), weil nicht wenige Menschen ihr Geschlecht auch genau so empfinden – als eine «Leerstelle». Möglichst viele vorgegebene Optionen anzubieten, ist wohl darum zum Scheitern verurteilt, weil es unendlich viele Ausprägungen von non-binärem Geschlecht gibt (siehe auch Labels).
Weil viele Menschen ein sehr differenziertes Verständnis ihres Geschlechts haben, ist es wünschenswert, dass mehrere Labels gesetzt werden können, wie z.B. Facebook das anbietet (siehe oben). Wie wir in diesem Beispiel sehen, können in diesem Zusammenhang auch Pronomen relevant sein (siehe Kommunikation und Pronomen Anwendung).
Amtliches Geschlecht
In gewissen Situationen kann es nötig sein, das amtliche Geschlecht abzufragen. Dann sollte die Frage aber auch das Label «amtliches Geschlecht» tragen und die Möglichkeit geboten werden, die Anrede unabhängig davon anzugeben. Die Frage nach dem amtlichen Geschlecht soll aber wirklich nur dann gestellt werden, wenn sie unumgänglich ist.
Mehr zu Recht und non-binäres Geschlecht >
Medizinische und psychologische Kontexte
In Medizin und Psychologie ist die Situation wohl am komplexesten, weil hier ganz unterschiedliche Aspekte von Geschlecht (siehe auch Grundlagen) relevant sein können. Auch hier ist meist die Ebene der Kommunikation (Anrede) ein Thema. In gewissen Situationen, kann es wichtig sein zu wissen, was für «eine Art Körper» eine Person hat. In anderen kann es relevant sein, was die Geschlechtsidentität einer Person ist. Deshalb ist es hier noch viel wichtiger als in den anderen Fällen, gut zu überlegen, was wirklich abgefragt werden muss. Weiter sollte aus dem Formular auch genau hervorgehen, was gemeint ist (evtl. mit Erklärungstext, Beispielen etc.). Es sollte auch überlegt werden, ob ein Formular die beste Form dafür ist, oder ob z.B. ein Gespräch sich nicht besser dafür eignen würde.
In der Forschung
Zur Gestaltung von Fragen nach dem «Geschlecht»:
- Balarajan, M., Gray, M., & Mitchell, M. (2011). Monitoring equality: Developing a gender identity question. London: Equality and Human Rights Commission. Research Report [PDF, 182 S.]
- Bauer, G. R., Braimoh, J., Scheim, A. I., & Dharma, C. (2017). Transgender-inclusive measures of sex/gender for population surveys: Mixed-methods evaluation and recommendations. PloS one, 12(5), e0178043. Artikel online
Weitere Quellen
- Merkblatt (PDF): Merkblatt für inklusive Kommunikation
- Broschüre (PDF): Geschlecht erfragen (Transgender Network Switzerland)
- Designing forms for gender diversity and inclusion (Sabrina Fonseca, 2017, auf UX Collective)
- Monitoring equality: Developing a gender identity question [PDF, 182 S.] (Balarajan, Gray & Mitchell, 2011, Equality and Human Rights Commission, Research report 75)
- Code & Ressources: Beyond Binary Code (von Spark, New Zealand)
Text von: Evianne Hübscher
Erste Veröffentlichung: 13.3.2020 | Letztes Update: 12.4.2024