In der Schweiz sind im Moment für das amtliche Geschlecht «weiblich» oder «männlich» die einzigen Optionen. Dies ist nicht nur für non-binäre Menschen eine sehr belastende Situation, es lässt auch die Schweiz im internationalen Vergleich schwach aussehen. Deshalb ist es höchste Zeit, dass es auch in der Schweiz nicht-binäre Geschlechtseinträge gibt.
Wenn auch die binäre Änderung des Geschlechtseintrages in der Schweiz ab 2022 massiv vereinfacht wurde, sind Geschlechtseinträge für non-binäre Menschen noch in weiter Ferne. In Deutschland, Österreich und vielen anderen Ländern gibt es aber länger schon solche.
Was es braucht – kurz gefasst:
- Anerkennung nicht-binärer Geschlechtseinträge aus dem Ausland
- Vereinfachung und Vereinheitlichung der Namensänderung
- Nicht-binäre Geschlechtseinträge für alle non-binären Menschen in der Schweiz – basierend auf Selbstdeklaration
- Mehrere Optionen für die nicht-binären Geschlechtseinträge
Hinweis: Zu allen hier besprochenen Punkten gibt es im Text Recht und non-binäres Geschlecht noch sehr viel ausführlichere Informationen und Quellen. Mehr zum Thema «non-binäres Geschlecht» gibt es hier: Was ist non-binäres Geschlecht?
Was braucht es?
In der Umsetzung nicht-binärer Geschlechtseinträge in der Schweiz sind verschiedene Dinge wichtig: Erst sollten nicht-binäre Geschlechtseinträge aus dem Ausland anerkannt werden. Bis es nicht-binäre Geschlechtseinträge gibt, wäre auch eine Vereinfachung der Namensänderung wichtig. Dann sollte es aber auch in der Schweiz nicht-binäre Geschlechtseinträge geben, welche für alle non-binären Menschen zugänglich sind. Für die Umsetzung der Geschlechtseinträge sollte es verschiedene Optionen geben, da diese unterschiedliche Vor- und Nachteile haben.
Anerkennung nicht-binärer Geschlechtseinträge aus dem Ausland
Ein erster Schritt sollte sein, dass nicht-binäre Geschlechtseinträge aus dem Ausland (z.B. Deutschland oder Österreich) in der Schweiz anerkannt werden. Eigentlich hat das Aargauer Obergericht dies in einem Entscheid bereits bestätigt (Artikel Aargauer Zeitung, 12.4.2021).
Nicht binäre Geschlechtsidentitäten seien bereits gesellschaftliche Realität und die binäre Geschlechterordnung gelte auch hierzulande langsam aber sicher als überholt.
– Aus dem Urteil des Obergerichts Aargau vom 29.3.2021
Aber durch Beschwerde des Bundesamtes für Justiz wurde der Fall ans Bundesgericht weitergezogen. TGNS hat mit einem Crowdfunding im 2021 Geld gesammelt, um diesen Fall begleiten zu können und das Thema generell weiterzubringen. Das Bundesgericht hat nun am 8.6.2023 den Fall negativ entschieden. Es wurde entschieden, diesen Fall nicht an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg weiterzuziehen (Quelle: Podcast «Artikel Sieben», 29.12.2023).
Vereinfachung und Vereinheitlichung der Namensänderung
Heute ist die Namensänderung ohne gleichzeitige Änderung des binären Geschlechtseintrages immer noch kantonal unterschiedlich geregelt, teurer, zeitaufwändiger und es wird dafür oft ein Schreiben einer medizinischen Fachperson verlangt. Von dieser diskriminierenden Behandlung sind vor allem non-binäre Menschen betroffen, weil viele von ihnen keine binäre Änderung des Geschlechtseintrages anstreben, da sie die beiden Optionen gleichfalls als nicht stimmig empfinden.
Deshalb sollte auch das Verfahren für die Namensänderung vereinfacht und vereinheitlicht werden.
Nicht-binäre Geschlechtseinträge in der Schweiz für alle
Wenn es in der Schweiz nicht-binäre Geschlechtseinträge geben soll, dann ist es auch wichtig, dass diese – basierend auf Selbstdeklaration – für alle non-binären Menschen zugänglich sind.
endogeschlechtlich nennen wir Menschen mit Körpern, die bei Geburt einer gesellschaftlichen Norm von Zweigeschlechtlichkeit entsprechen
intergeschlechtlich nennen wir Menschen mit Körpern, die sich bei Geburt von sozialen Normen und Erwartungen von «männlich» oder «weiblich» unterscheiden
non-binär nennen wir Menschen mit einer Geschlechtsidentität ausserhalb der Kategorien «Frau» und «Mann» (mehr dazu) – unabhängig von der Beschaffenheit ihres Körpers
In vielen Ländern (z.B. Österreich) sind nicht-binäre Geschlechtseinträge nur für intergeschlechtliche Menschen zugänglich. Dies hängt u.a. damit zusammen, dass entsprechende Klagen von intergeschlechtlichen non-binären Personen gewonnen wurden. Nun ist es aber so, dass sich ein Grossteil der intergeschlechtlichen Menschen als binär weiblich oder männlich identifiziert und ein Grossteil der non-binären Menschen ist endogeschlechtlich (nicht intergeschlechtlich). Somit sind die nicht-binären Geschlechtseinträge in diesen Ländern nur für einen ganz kleinen Teil zugänglich (Schnittmenge in der Abbildung unten).
Da in diesen Ländern in der Berichterstattung in Zusammenhang mit den nicht-binären Geschlechtseinträgen aber oft eher auf die Intergeschlechtlichkeit der Person (körperliche Dimension) Bezug genommen wurde und nicht auf die non-binäre Geschlechtsidentität (psychologische Dimension), ist der Eindruck entstanden, dass der nicht-binäre Geschlechtseintrag ein zentrales Anliegen intergeschlechtlicher Menschen sei. Dies ist aber nicht der Fall. Für die intergeschlechtliche Community ist das wichtigste Anliegen das ausdrückliche, strafrechtliche Verbot von uneingewilligten, unverhältnismässigen geschlechtsverändernden Eingriffen (siehe InterAction Schweiz, zwischengeschlecht.org).
Deshalb ist es wichtig, dass die Dimensionen körperliche Geschlechtsmerkmale und Geschlechtsidentität klar auseinandergehalten werden (siehe Grundlagen von Geschlecht). Die nicht-binären Geschlechtseinträge sollen für alle Menschen verfügbar sein, die ihr Geschlecht non-binär definieren oder sich unter diesem Oberbegriff verorten – basierend auf Selbstdeklaration und frei medizinischer Voraussetzungen.
Unterschiedliche Optionen nicht-binärer Geschlechtseinträge
Für die Umsetzung nicht-binärer Geschlechtseinträge sind unterschiedliche Optionen denkbar: Geschlechtseintrag streichen, Geschlechtseintrag offen lassen oder neue Kategorien (siehe auch Bericht der Nationalen Ethikkommission, 2020). Diese Optionen können auch parallel bestehen, wie dies auch in anderen Ländern der Fall ist.
Es ist auch wichtig zu verstehen, dass diese Optionen unterschiedliche Vor- und Nachteile haben. Die Streichung und das Offenlassen des Geschlechtseintrags haben weniger Risiko eines ungewollten Outings. Auf der anderen Seite ist dadurch das non-binäre Geschlecht auch nicht sichtbar und kann so auch nicht stärkend wirken. Bei neuen Kategorien ist aber wichtig zu bedenken, dass non-binäre Menschen ihr Geschlecht ganz unterschiedlich beschreiben (siehe auch Labels). Non-binär ist auch ein Oberbegriff für viele Geschlechter. Eine Lösung für dieses Problem kann sein, die Bezeichnung frei wählbar zu machen – was aber neue Herausforderungen mit sich bringt.
Weil wir non-binären Menschen auch mit diesen Einträgen im Alltag leben müssen und unterschiedliche Bedürfnisse haben, wäre es zwingend, die non-binäre Community in die Erarbeitung dieser Optionen aktiv einzubeziehen. TGNS hat 2019 dazu eine Umfrage in der Community gemacht (Beitrag bei TGNS). Aber für eine konkrete Umsetzung der Geschlechtseinträge müsste dieser Einbezug weitaus systematischer erfolgen. Dabei wären auch die intergeschlechtliche Community bzw. non-binäre intergeschlechtliche Menschen einzubeziehen.
Nebst dem Erarbeiteten nicht-binärer Geschlechtseinträgen muss auch überlegt werden, warum erfasst der Staat das Geschlecht von Menschen überhaupt. Denn erstens ist im Schweizer Recht Geschlecht gar nicht definiert und die Gründe für die Erfassung sind aus rechtlicher Sicht unklar. Die Ethikkommission hält in ihrem Bericht auch fest, dass der gänzliche Verzicht auf die amtliche Registrierung des Geschlechts aus ethischer Sicht zu bevorzugen wäre. Eine Annäherung an diese Lösung könnte sein, dass das Attribut «Geschlecht» grundsätzlich nicht mehr in Personalausweisen erscheint – wie z.B. in den Niederlanden ab 2024 (Artikel Zeit, 4.7.2020).
Warum sind nicht-binäre Geschlechtseinträge wichtig?
Die Anerkennung unserer Geschlechtsidentität ist ein Menschenrecht. Im Moment sagt aber der Schweizer Staat zu non-binären Menschen: «Ihr existiert für uns nicht». Dies hat direkte negative Auswirkungen auf die Lebensqualität von non-binären Menschen.
Gemäss verschiedener Studien haben non-binäre Personen im Schnitt eine schlechtere psychische Gesundheit – im Vergleich zu binär identifizierten trans Personen. Eine Schweizer Studie aus 2018 (Artikel) zeigt das auch. Gemäss dem in der Studie verwendeten «Gender minority stress model» ist das «nicht akzeptieren der Geschlechtsidentität» ein zentraler Stressor. Wenn nun der Staat non-binäre Identitäten nicht akzeptiert und dadurch auch seine Bürger*innen darin bestärkt dies nicht zu tun, sind die massiven negativen Auswirkungen offensichtlich. Mehr zu Lebensrealitäten non-binärer Menschen
Wenn die Schweiz nicht bereit ist, die amtliche Erfassung von Geschlecht abzuschaffen – was nicht nur aus Sicht vieler non-binären Menschen die beste Lösung wäre – dann wird es höchste Zeit, dass sich der Schweizer Staat seiner Verantwortung bewusst wird und Menschen mit non-binären Geschlechtern offiziell anerkennt.
In einer repräsentativen Schweizer Umfrage sind 53% dafür, dass es nicht-binäre Geschlechtseinträge geben soll (Sotomo, 2021).
Mehr Informationen
Im Text Recht und non-binäres Geschlecht werden die hier besprochenen Aspekte viel genauer beschrieben und es werden auch mehr Quellen dazu angegeben.
Auch die bisherige Entwicklung in der Schweiz wird genau nachgezeichnet: Ein paar Lowlights aus der Schweiz: Zwar werden im 2017 mehrere Postulate rund um nicht-binäre Geschlechtseinträge eingereicht. Aber im 2022 antwortet dann der Bundesrat mit einem negativen Bericht auf diese – unsere Gesellschaft sei noch nicht bereit. Obwohl im Jahr 2021 das Aargauer Obergericht entschieden hat, dass ein in Deutschland gestrichener Geschlechtseintrag im Kanton Aargau übernommen werden muss, entscheidet das Bundesgericht in dem weitergezogenen Fall negativ.
Weiter wird auch die Situation in anderen Ländern – vor allem Deutschland und Österreich – genauer beschrieben.
Recht und non-binäres Geschlecht >
Was kann ich tun?
Es gibt viel zu tun. So sind wir froh, wenn möglichst viele Leute mithelfen, dass es möglichst bald nicht-binäre Geschlechtseinträge in der Schweiz gibt.
Non-binäre Menschen
Falls ihr Lust habt etwas beizutragen, wisst aber noch nicht genau wie, dann schickt uns eine Mitteilung. Abonniert den Newsletter um auf dem Laufenden zu bleiben und gebt die Adresse dieser Seite anderen Enbies weiter.
Verbündete (Allies)
Sensibilisiert Personen in eurem Umfeld für das Thema und gebt ihnen die Adresse dieser Seite weiter. Falls ihr die Möglichkeit habt, macht in euren Organisationen auf das Thema aufmerksam. Abonniert den Newsletter um auf dem Laufenden zu bleiben und falls ihr Lust habt aktiv was beizutragen, schickt uns eine Mitteilung.
Medienschaffende
Setzt euch mit den verschiedenen Aspekten der Thematik auseinander – mit dem Text hier und auch mit dem ausführlicheren Text Recht und non-binäres Geschlecht. Für eine gute Berichterstattung über non-binäre Personen beachtet bitte den Medienguide. Falls ihr inhaltliche Fragen habt, könnt ihr uns gerne eine Mitteilung schicken. Abonniert den Newsletter um auf dem Laufenden zu bleiben. Wir machen aber keine Medienauftritte (weder geben wir Interviews noch liefern wir Quotes). Für sowas wendet euch an TGNS – Medien.
Weitere Quellen
Text von: Evianne Hübscher
Erste Veröffentlichung: 12.5.2022 | Letztes Update: 14.3.2024